Wie schlechtes Recruiting der Unternehmensreputation schadet | Robert Half

Wie schlechtes Recruiting der Unternehmensreputation schadet

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Fachkräfte werden händeringend gesucht. Haben Unternehmen dann spannende Kandidaten im Bewerbungsprozess, gehen viele von ihnen oft fahrlässig mit den spannenden Experten um. Sie melden sich nicht zurück, wollen noch einmal über das Gehalt sprechen oder verhalten sich bereits im Interview unprofessionell. Emine Yilmaz, Vice President bei Robert Half, zeigt, wie schlechtes Recruiting dem Ansehen des Unternehmens massiv schaden kann.
<<Wir melden uns dann bei Ihnen …>>, mehr als vier Monate ist das her, seit der Bewerber nach einem aussichtsreichen Interview per Handschlag aus der Firmenzentrale eines Mittelständlers geschickt wurde. Geschwindigkeit ist im Recruiting zu allen Zeiten die Achillesferse gewesen. Durch interne Prozesse und sehr enge Strukturen, zieht sich der gesamte Bewerbungsprozess oft über Monate. Zeit, die der Bewerber nicht hat. Im Idealfall braucht er sofort eine neue Anstellung. So ist es nicht verwunderlich, dass für das Unternehmen schon zwei Wochen nach dem Jobinterview erheblich gesunken sind. Wer sich erst nach Monaten beim Kandidaten zurückmeldet, hat quasi keine Chance mehr, den Experten in sein Haus zu holen. In 95 von 100 Fällen hat er ein anderes Angebot angenommen – und sich im ungünstigsten Fall die Erfahrung, die er mit dem Mittelständler gemacht hat, fest abgespeichert. Das schadet dem Ruf des Unternehmens, dass eigentlich nur eine neue Fachkraft einstellen wollte. 
Doch nicht nur monatelanges Warten auf Antwort verschreckt spannende Kandidaten. Problematisch wird der Einstellungsprozess zudem auch immer dann, wenn Absprachen kurz vor der Unterschrift noch einmal unternehmensseitig zur Diskussion gestellt werden oder die Vorstellungen des Unternehmens zum möglichen Gehaltsband weiter unter dem liegen, was am Markt üblich ist. In unserer Gehaltsübersicht 2024 haben wir mehr als 1000 Mitarbeiter befragt, was einen Arbeitgeber für sie interessant macht. Zwar werden die Zusatzleistungen immer wichtiger. Doch nach wie vor ist das Gehalt das Hauptentscheidungskriterium. 
Ein weiterer Stolperstein für Unternehmen ist eine ungenügende Akribie in der Vorbereitung und Durchführung von Interviews. Unternehmen bedenken oft nicht in Gänze, dass der Bewerbungsprozess auch dem Bewerber ein Bild darüber gibt, wie gut das Unternehmen, bei dem er sich bewirbt, zu ihm passen könnte. Wenig Struktur im Bewerbungsgespräch, floskelhafte Standardfragen wie „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren“ oder – im ungünstigsten – die Abfrage der Lebenslaufdaten des Bewerbers, die er ja bereits mit der Bewerbung eingereicht hatte, können die anfängliche Euphorie deutlich eintrüben. Hinzu kommt, dass Bewerbungsprozesse bereits angestoßen sind und wichtige Entscheidungsträger im gesamten Verfahren noch nicht einbezogen sind.
Wenn Bewerber bereits die dritte oder vierte Bewerbungsrunde hinter sich haben und dann erst mit dem zuständigen Entscheider sprechen, der final über die Einstellung entscheidet, kann sich das ebenfalls negativ auf das Bewerberinteresse auswirken. Unternehmen sollten vor diesem Hintergrund nicht vergessen, dass sich der Arbeitsmarkt gedreht hat. Heute können die Arbeitnehmer mehr oder minder entscheiden, wo sie arbeiten wollen. Ferner gehört zu einem sauber aufgesetzten Bewerbungsprozess auch eine klare Feedback-Kultur. Oft haben sich Bewerber frei genommen, um ein Interview möglich zu machen. Er hat sich vorbereitet und bereit, sich den Fragen der Interviewer zu stellen. Unabhängig davon, ob er es in die engere Auswahl geschafft hat oder nicht, sollte zeitnah ein Feedback zum Interview von Seiten des Unternehmens erfolgen. So können sich Unternehmen ein Alleinstellungsmerkmal aufbauen. Denn oft verweisen die Absagen darauf, dass andere Kandidaten besser für das Stellenprofil geeignet waren. Faktisch mag das stimmen, der Erkenntnisgewinn für den Bewerber geht dabei jedoch gegen null. 
Dass Bewerber sich bei Unternehmen nicht mehr zurückmelden, ist ein immer größeres Problem für Unternehmen – im HR-Bereich ist dieses Phänomen als „Ghosting“ bekannt. Indeed hat genau dazu 400 Personaler befragt. 90 Prozent von ihnen haben bereits Erfahrungen mit Ghosting gemacht. Rund 200 von ihnen sagen, dass der Trend zunimmt, viele von ihnen erleben dies jede Woche. Selbst wenn der Bewerber zum Interview erschien, hört rund die Hälfte danach nichts mehr von den Kandidaten.
Im Umkehrschluss haben jedoch 77 Prozent der Jobsuchenden einen Kontaktabbruch vonseiten des Unternehmens erlebt, 10 Prozent berichten sogar von einer mündlichen Jobzusage und anschließendem „Ghosting“ durch das Unternehmen. 
Wer Personal einstellen möchte, muss immer erst einmal Geld in die Hand nehmen. Schätzungen gehen davon aus, dass eine Stellenbesetzung rund 30 Prozent des jeweiligen Jahresgehaltes verschlingt. Nehmen Sie einen Kreditoren-/Debitorenbuchhalter: Diese verdienen mit Berufserfahrung laut unserer Gehaltsübersicht 2024 rund 49.500 Euro.
Das gesamte Einstellungsverfahren kostet demnach rund 14.800 Euro. Je nachdem, wie gut oder vor allem schlecht der Einstellungsprozess aufgesetzt ist, wie viele Bewerbungssichtungen vorgenommen werden, kann sich diese Zahl entsprechend erhöhen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass durch schlechte Einstellungsprozesse den Unternehmen budgetäre Mittel fehlen, die es an anderer Stelle hätte besser einsetzen können. 
Wenn Unternehmen Bewerbern ab oder zusagen, sollten sie dies so smart wie möglich tun. Sie sollten sich an feste Absprachen halten, den Bewerbungsprozess so lang wie nötig, aber vor allem so kurz wie möglich halten. Oft beginnt die Herausforderung für HR-Abteilung schon in der Entwicklung der Stellenanzeige. Wer nicht genau sagen kann, was er sucht, schreibt Stellenanzeigen, die den Interessentenkreis sehr weit fassen.
Aus mehr als 1000 eingehenden Bewerbungen eignen sich sodann oft nur 10, um sich näher mit ihnen zu befassen. Allerdings benötigen die anderen 990 Bewerber ebenfalls eine professionelle und transparente Kommunikation. Ausgehend vom genannten Beispiel investieren die Häuser auf der einen Seite investieren in Employer Branding und auf der anderen Seite leisten sie sich wenig optimierte Recruiting-Prozesse. 
Auch wenn hier vor allem die Unternehmen in der Bringschuld sind, können Bewerber Unternehmen auf ein professionelles Einstellungsverfahren hinweisen. Das beginnt damit, dass sie zwei Wochen nach der Bewerbungseinreichung und möglicher angegebener Bewerbungsschlüsse beim genannten Ansprechpartner nachfragen, wie der Stand der Bewerbungen ist.
Gerade für Bewerber, die ein zweites oder drittes Mal nachfragen, kann dieser Prozess ermüdend und demotivierend sein. Sie sollten sodann auch prüfen, ob das der Arbeitgeber ist, für den sie arbeiten wollen. Bereits mehr als vier Wochen Wartezeit sind nicht angemessen, um neben der Bewerbungseingangsbestätigung ein weiteres Signal vom Unternehmen zu hören. Generell können Bewerber auch schon im Bewerbungsinterview ihre Bedürfnisse an einen künftigen Arbeitgeber klar adressieren. Verbindlichkeit, Transparenz und ein angemessenes Tempo sind klare Variablen, die Bewerber schon im Jobinterview artikulieren können und bei denen erfahrene Recruiter aktiv hinhören und dies an die zuständigen Stellen weiterleiten.